Studierende mit zielorientierten Lernveranstaltungen beim wissenschaftlichen Schreiben unterstützen

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Kurzinfos_ZiLL_38-2015_Lernveranstaltungen
Autorinnen: Carol Cameron, Linda George, & Margaret Henley, University of Auckland, Auckland, New Zealand
Aus der Reihe: Schriften zur Hochschuldidaktik. Beiträge und Empfehlungen des Fortbildungszentrums Hochschullehre der Friedrich-­Alexander Universität Erlangen-Nürnberg.

Quelle

Cameron, C., George, L., & Henley, M. (2012). All hands on deck: A team approach to preparing year one arts students for their first major assignment. A Practice Report. The International Journal of the First Year in Higher Education, 3(1), 101-108.

Weitere Informationen

Die University of Auckland hat eine Informationsseite zu zielgerichteten Lernveranstaltungen eingerichtet, auf dem auch ein Video zu finden ist, das anschaulich den Ablauf einer solchen Veranstaltung zeigt.

Problembeschreibung / Zieldefinition

Aufgrund von demographischen Veränderungen wird die Gruppe der Studierenden an Hochschulen immer vielfältiger, was ihren Hintergrund betrifft, aber auch was ihre persönlichen Voraussetzungen angeht. Beispielsweise sind die StudienanfängerInnen heute jünger als noch vor einigen Jahren, und viele Hochschulen beklagen deren mangelnde Studierfähigkeit. So verfügen StudienanfängerInnen beispielsweise häufig nicht über die erforderlichen Kompetenzen, um wissenschaftliche Hausarbeiten zu schreiben. Dieses Defizit besteht häufig trotz der Bemühungen der Hochschulen fort, es durch Schulungen und intensivere Betreuung auszugleichen. Offenbar bestehen bei vielen Studierenden Hemmungen, die entsprechenden Angebote wahrzunehmen, egal ob es sich dabei um Sprechstunden der Lehrenden oder um Informationsveranstaltungen der Bibliothek handelt.
Um Studierende bei der Verfassung von Hausarbeiten zielgerichtet zu unterstützen, schlagen Cameron, George und Henley (2012) die Methode einer zielorientierten Lernveranstaltung zur Förderung der Informations- und Schreibkompetenz vor. Bei einer solchen zentralen Veranstaltung werden die Studierenden bei der Recherche der Informationen unterstützt, die sie zum erfolgreichen Schreiben ihrer wissenschaftlichen Hausarbeit benötigen (Informationskompetenz) und sie können Informationen zum Schreibprozess erfragen, die sich auf die Vorgehensweise bei der Strukturierung einer wissenschaftlichen Arbeit oder auf die Diskussion von Forschungsergebnissen beziehen (Schreibkompetenz).

Herangehensweise / Lösungsansatz

Laut Cameron et al. (2012) ist die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme von Studienanfängerinnen an Kursen zum wissenschaftlichen Schreiben vor allem aus drei Gründen gering: Erstens sind diese Veranstaltungen oft sehr allgemein und dementsprechend in den Augen der Studierenden nicht auf deren spezifische Situation – etwa ihre erste anstehende Hausarbeit – zugeschnitten. Zweitens erfordern sie häufig einen hohen Aufwand, vor dem viele Studierende zurückschrecken. Drittens scheuen sich viele StudienanfängerInnen, die eigenen Probleme und Fragen in einer Face-to-Face-Kommunikation, etwa mit TutorInnen, zu thematisieren.
Aus diesen Gründen schlagen Cameron et al. (2012) vor, zielorientierte Lernveranstaltungen anzubieten, die jeweils auf ganz spezifische Anlässe wie die erste anzufertigende Hausarbeit zugeschnitten sind. Die Studierenden können die Veranstaltung besuchen, die Informationen erfragen, die sie benötigen, und gehen wieder, sobald sie alle Fragen klären konnten. Neben diesem spezifischen Zuschnitt zeichnet sich die Methode durch weitere Charakteristika aus:
Niederschwelligkeit: Dadurch dass die Veranstaltung für alle StudienanfängerInnen eines Studiengangs durchgeführt wird, soll die Scheu zum Ersuchen von Hilfe abgebaut werden – Hilfe zu suchen soll somit als Normalität dargestellt werden.
Aktualität: Die zielorientierte Lernveranstaltung muss von den Studierenden als relevant angesehen werden, weshalb sie idealerweise in zeitlicher Nähe zu einem Abgabetermin, den eine große Zahl von Studierenden einhalten muss, stattfinden sollte. Je nach Größe der Lehrveranstaltung, in der die Studierenden ihre erste Hausarbeit schreiben, können auch mehrere Seminare eines Studiengangs für die zielorientierte Lernveranstaltung kombiniert werden. Wenn die Studierenden in der vorlesungsfreien Zeit eine Hausarbeit anfertigen müssen bietet es sich beispielsweise an, eine solche Veranstaltung am Ende des Semesters oder am Anfang der vorlesungsfreien Zeit durchzuführen.
Bündelung: Alle wichtigen Informationen zum Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten sollten zentral in einer Veranstaltung und an einem Ort gegeben werden, weshalb alle wichtigen AnsprechpartnerInnen wie MentorInnen, Lehrende und TutorInnen, LernassistentInnen und BibliotheksmitarbeiterInnen teilnehmen sollten. Die jeweiligen Aufgaben dieser AnsprechpartnerInnen werden im Folgenden erläutert.
Die MentorInnen begrüßen die Studierenden, erkundigen sich über den Stand ihrer wissenschaftlichen Hausarbeit und verweisen die Studierenden an die Stationen, an denen sie die von ihnen benötigten Informationen erhalten können (LernassistentInnen, Lehrende und TutorInnen sowie BibliotheksmitarbeiterInnen).
Die LernassistentInnen sind für allgemeine Ratschläge zum Verfassen von Hausarbeiten zuständig und helfen den Studierenden dabei, die Kompetenzen zu erwerben, die sie benötigen, um beispielsweise eine Hausarbeit sinnvoll zu strukturieren oder eine kohärente Argumentation aufzubauen.
Lehrende und TutorInnen beantworten alle inhaltlichen Fragen zur aktuell anstehenden Hausarbeit, die die Studierenden normalerweise in einer Sprechstunde stellen würden, z. B. anhand welcher Kriterien die Hausarbeit benotet wird. Sie helfen den Studierenden auch dabei, sich für ein Thema zu entscheiden, bzw. das Thema einzugrenzen.
Die BibliotheksmitarbeiterInnen werden auf fünf Arbeitsstationen aufgeteilt, wobei jeder Station ein bestimmtes Thema zugeteilt ist. Damit die Studierenden auf Fragestellungen aufmerksam werden, die sie möglicherweise noch nicht bedacht hatten, liegen potentielle Fragen an die BibliotheksmitarbeiterInnen in Papierform aus (vgl. Tabelle 1). So können die Studierenden die für sie interessanten Fragen mitnehmen und damit zur entsprechenden Bibliotheksstation gehen. Die Fragen zum Thema und zur formalen Gestaltung müssen vorher zwischen den an der Lernveranstaltung beteiligten Lehrenden und den BibliotheksmitarbeiterInnen abgesprochen werden.
Erster, wichtiger Schritt der Methode ist die Ankündigung der Lernveranstaltung in einem Studiengang. Die Lehrenden und TutorInnen sollten die Lernveranstaltung in den entsprechenden Kursen „anpreisen“ und deutlich machen, dass die Studierenden dort Unterstützung beim Schreiben ihrer Hausarbeit erhalten werden.
Der zweite Schritt ist die räumliche Gestaltung der Veranstaltung: Cameron et al. (2012) schlagen eine Anordnung in einem offenen Raum vor, bei der die Tische für die Mitarbeitenden um eine offene Fläche gruppiert werden, so dass die Studierenden von einem Tisch zum anderen gehen und sich ihre jeweils benötigten Informationen holen können (siehe Abbildung 1). Die MentorInnen sitzen sozusagen am „Empfang“ im Eingangsbereich und verweisen die Studierenden von dort aus an die anderen beteiligten Personen weiter, die in einem Halbkreis im restlichen Raum verteilt sitzen. Der Vorteil dieser Anordnung ist die Ermöglichung einer offenen Kommunikation: Studierende können etwa schon beim „Mithören“ von Fragen ihrer KommilitonInnen ihre eigenen Fragen klären und sich in der offenen Fläche mit anderen Studierenden über nützliche Tipps zum Verfassen von Hausarbeiten austauschen.
Tabelle 1: Für die BibliotheksmitarbeiterInnen vorformulierte Fragen

Thema Welcher Aspekt des Themas ist am wichtigsten?Wo kann ich mich informieren, wenn ich das Thema nicht verstehe?Was ist, wenn die Texte, die im Rahmen der Lehrveranstaltung zu lesen waren, nichts mit meinem Thema zu tun haben? RechercheWie alt dürfen die verwendeten Quellen sein?Wie kann ich die Rechercheergebnisse eingrenzen?Kann ich mich auf Texte beziehen, die Inhalt der Lehrveranstaltung waren? Quellen bewerten Darf ich Websites zitieren?Wie weiß ich, ob die Quellen gut genug sind?Soll ich auch Quellen zitieren, die der Meinung der Lehrperson entgegenstehen?
Quellen findenWo kann ich weitere Informationen finden?Wie bestelle ich Bücher per Fernleihe?Welche Art der Quellen darf ich benutzen? ZitierenWelche Zitierrichtlinien soll ich verwenden?Ich finde eine Quelle nicht mehr. Wie kann ich vorgehen?Brauche ich ein Literaturverzeichnis?

Zur gerade dargestellten, idealtypischen Aufstellung ist zu sagen, dass prinzipiell alle Rollen von Lehrenden oder erfahrenen Studierenden übernommen werden können. Ist das Team zusammengestellt, müssen den einzelnen MitarbeiterInnen Plätze und Aufgaben zugewiesen werden. Dafür schlagen Cameron et al. (2012) die in Abbildung 1 dargestellte Anordnung vor.

Abbildung 1: Die räumliche Anordnung der MitarbeiterInnen

Aufwand

Der größte Aufwand entsteht durch die Zusammenarbeit und Gewinnung verschiedener MitarbeiterInnen und das Aufteilen der verschiedenen Rollen, sowie durch die Vorbereitung des Raumes. Außerdem entsteht der zeitliche Aufwand für die Durchführung am Tag der Veranstaltung selbst.
Allerdings könnte eine zentrale Lernveranstaltung in Kooperation mehrerer MitarbeiterInnen viele verstreute Informationsveranstaltungen, etwa von TutorInnen oder BibliotheksmitarbeiterInnen sowie individuelle Sprechstundentermine mit den Lehrenden ersetzen. Bei der Planung einer zentralen Lernveranstaltung für Erstsemesterstudierende ist allerdings die Größe des Studiengangs zu berücksichtigen, da bei Studiengängen mit sehr großen Kohorten eine zentrale Veranstaltung den Rahmen sprengen und zu einer Massenveranstaltung werden könnte.

Art der Evaluation, Erfolgsfaktoren und Resultate

Cameron et al. (2012) berichten einerseits von einer für sie überraschend hohen Teilnehmerzahl und zum anderen von einer positiven Resonanz der Studierenden, die an der Lernveranstaltung teilgenommen hatten. Besonders positiv bewerteten die Studierenden, dass sie zielgerichtet an die Stationen verwiesen wurden, die für sie relevant waren, dass sie sich die benötigten Informationen in sehr kurzer Zeit verschaffen konnten, und dass sie sich in dieser Veranstaltung mit MitarbeiterInnen aus verschiedenen Bereichen, sowie mit anderen Studierenden austauschen konnten. Außerdem beobachteten Cameron et al. (2012) bei den Erstsemester-Studierenden in Soziologie, für die die Lernveranstaltung angeboten wurde, eine 50% geringere Durchfallquote.

Empfehlungen

Cameron et al. (2012) sehen die hohe Akzeptanz der Veranstaltung, die sich in einer hohen Teilnahmequote äußert, (300 Studierende von 456 Studierenden) als Indikator für den Erfolg der Lernveranstaltung. Sie führen diesen Erfolg auch darauf zurück, dass der Zeitpunkt für die Studierenden passend ausgewählt wurde und die Studierenden die Veranstaltung als wichtig betrachteten. Bei der Wahl des Zeitpunkts ist folgendes entscheidend: Wird die Lernveranstaltung zu früh angeboten, haben die Studierenden sich evtl. noch nicht mit ihrer Hausarbeit auseinandergesetzt und können auch keine konkreten Fragen stellen. Wird die Lernveranstaltung hingegen zu spät angeboten, haben die Studierenden evtl. zu großen Zeitdruck, um diese zu besuchen. Das Semesterende oder der Anfang der vorlesungsfreien Zeit stellen aus unserer Sicht jedoch einen günstigen Zeitpunkt dar. Wichtig ist auch, dass die Lernveranstaltung von den Lehrenden beworben wird und die Verbindung zwischen dem Besuch dieser Veranstaltung und der Leistung in der Hausarbeit für die Studierenden ersichtlich wird. Die von Cameron et al. (2012) vorgesehene starke Einbindung der BibliotheksmitarbeiterInnen ist bei geeigneter Organisation sicherlich hilfreich, setzt jedoch eine enge Abstimmung zwischen den Lehrenden und dem Bibliothekspersonal voraus.

Verallgemeinerbarkeit

Eine zielgerichtete Lernveranstaltung in der beschriebenen Form kann in jedem Studiengang durchgeführt werden, in dem die Studierenden wissenschaftliche Hausarbeiten schreiben müssen.