Der Einsatz von Videotutorials und tutoriellen Screencasts – Beispiel Mathematik für Wirtschaftswissenschaften

Kurzinfos_FBZHL_26-2014-FAU

Aus der Reihe: Schriften zur Hochschuldidaktik. Beiträge und Empfehlungen des Fortbildungszentrums Hochschullehre der Friedrich-­Alexander Universität Erlangen-Nürnberg.

Autoren: Christian Attenberger, Niklas Ströber, Universität Erlangen-Nürnberg

Problembeschreibung / Zieldefinition

Der Lernerfolg für die Teilnehmenden einer Vorlesung oder anderer Präsenzveranstaltungen hängt von zahlreichen Faktoren ab. Neben den didaktischen Fertigkeiten der/des Dozierenden stellt u. a. auch das Vorwissen der Studierenden eine wichtige Voraussetzung dar. Dieses ist jedoch – insbesondere in der Studieneingangsphase – häufig sehr heterogen verteilt. Studierende mit geringem Vorwissen bleiben in der Vorlesung dann oft zurück, da kaum Zeit vorhanden ist, auf ihre besonderen Bedürfnisse einzugehen.
Seit dem Wintersemester 2012/13 wird deshalb an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) im Modul Mathematik für Wirtschaftswissenschaften der Fokus auf eine intensive Vorbereitungvon Lerninhalten gelegt. Diese bietet schwächeren Studierenden die Möglichkeit, fachliche Defizite und erforderliche Voraussetzungen für die entsprechende Vorlesung aufzuholen.
Diese Vorbereitung wurde in Form von multimedialer tutorieller Begleitung realisiert: Hierfür wurden kurze, digitale Lehrvideos in Form von Screencasts eingesetzt. Die Lehrvideos stehen den Studierenden auf der universitätseigenen Lernplattform StudOn sowie auf YouTube zur Verfügung.

Herangehensweise / Lösungsansatz

Das hier vorgestellte Konzept der Lehrvideos stellt eine Form des Blended-Learning dar. Es erweitert die reine Präsenzveranstaltung um ein ergänzendes E-Learning-Angebot. Wichtig für den Erfolg dieses Konzepts ist vor allem die Anpassung des Schwierigkeitsgrads der Lehrvideos an das Vorwissen der Studierenden.

Vorteile von Screencasts

Ein Vorteil von Screencasts liegt in der Vielfalt der Darstellungsmöglichkeiten: Die Lerninhalte können verbalisiert, visualisiert und in ihrem Entstehungsprozess dargestellt werden. Damit bedienen sie verschiedene Lerntypen und -strategien bei den Studierenden.

Ein weiterer Vorteil liegt in der selbstbestimmten Lernweise: Die Studierenden können sich orts- und zeitunabhängig mit dem Lernstoff auseinandersetzen sowie Lerngeschwindigkeit und -rhythmus durch Abspielen der Videos selbst bestimmen. Das fördert als Nebeneffekt die Selbstregulations- und Selbstmanagementkompetenzen der Studierenden.

Herangehensweise – inhaltlich und didaktisch

Die Dauer eines Lehrvideos sollte, um die Aufmerksamkeit zu erhalten, in der Regel 10 Minuten nicht überschreiten – die Evaluationsergebnisse im vorliegenden Einsatz haben dies bestätigt (siehe unten).
Bei dem Großteil der Lehrvideos für das Modul Mathematik für Wirtschaftswissenschaften an der FAU wurden die Dozenten am rechten unteren Bildschirmrand zusätzlich eingeblendet. Dies sollte der Entpersönlichung virtueller Angebote entgegenwirken.
Der Erstellungsprozess, also die didaktische und inhaltliche Konzeption sowie die Aufnahme der Lehrvideos, wurde von zwei Tutoren übernommen. Damit blieb der Grundgedanke eines Tutoriums – leistungsstarke Studierende unterstützen leistungsschwächere Studierende – erhalten. Denkbar ist jedoch auch, Konzeption und Aufnahme der Lehrvideos gemeinsam mit dem zuständigen Lehrpersonal zu erarbeiten.
Zu jedem thematischen Block, der in den Präsenzveranstaltungen behandelt wurde, wurden von den Tutoren Ideen dazu entwickelt, welche Inhalte für ein Vorbereitungsvideo in Frage kommen könnten. Nach der Auswahl der Ideen – ein Kriterium waren bisherige Erfahrungen der Tutoren mit Lernschwierigkeiten seitens der Studierenden – begann die didaktische Konzeption der Lehrfilme. Dazu bot sich beispielsweise folgender Ablauf an (je nach didaktischer Intention kann dieser variieren):

1. Begrüßung und thematische Hinführung

Jeder Film wurde mit einer Begrüßung der Studierenden und einer kurzen Erläuterung über die Intentionen des Screencasts begonnen: z. B. Überblick geben über…, Zusammenfassen von…, Einführung des Begriffs … usw.

2. Erläuterung des mathematischen Begriffs

Bei Filmen, die einen mathematischen Begriff erklären sollten, entschieden sich die Tutoren oft für die sogenannte „induktive Methode“. Hier wurde ein Begriff mit Hilfe von Beispielen erläutert und in einem konkreten Zusammenhang verdeutlicht.

Beispiel

der finanzmathematische Begriff der „Rente“ wurde am Beispiel von monatlichen, halbjährlichen oder jährlichen Zahlungen aus dem Alltag erklärt. Durch die Erläuterung mit Beispielen wurde die allgemeine Bedeutung des Begriffs („Rente = periodische Zahlungsfolge“) deutlich und konnte kognitiv von den Studierenden „begriffen“ werden.
Diese Vorgehensweise ist vor allem bei Studierenden mit wenig Vorwissen in einem Fachgebiet sehr hilfreich.

Vermittlung von Problemlösestrategien

Im letzten Abschnitt eines Lehrvideos wurde manchmal eine Beispielaufgabe integriert, die in allen Einzelschritten vorgerechnet wurde, um den Studierenden ein Anwendungsbeispiel des mathematischen Begriffs zu bieten und die Lösungsschritte näher zu bringen. Damit wurden gleichzeitig Problemlösestrategien, also Vorgehensweisen, wie mathematische Probleme gelöst werden können, eingeübt.

Herangehensweise – technisch

Screencasts sind digitale Filme, die das Geschehen am Computerbildschirm aufzeichnen. Sie sind nicht zu verwechseln mit Screenshots, die lediglich Fotos des Bildschirms aufnehmen. Mit entsprechender Software lassen sich Screencasts relativ leicht erstellen. Inzwischen gibt es auch eine reiche Auswahl an Open-Source-Software (z. B. CamStudio, Jing). Für die hier vorgestellten Screencasts wurde Camtasia Studio verwendet. Diese Software ist zwar kostenpflichtig, beinhaltet dafür aber einen Video-Editor mit umfangreichen Funktionen, die parallele Aufnahme durch eine Webcam ermöglicht und sich intuitiv bedienen lässt.
Nachdem die Software installiert ist, lässt sich bei Camtasia der Bildschirmbereich auswählen, der aufgenommen werden soll. Außerdem lässt sich neben der Tonaufzeichnung – hierbei empfiehlt sich die Verwendung eines USB-Mikrofons – auch ein kleines Webcam-Bild in die Aufnahme integrieren (siehe Abbildung oben).
Als Software für die handschriftlich zu vermittelnden Lerninhalte wurde Windows-Journal gewählt. Dieses ist bereits an jedem Windows-Rechner vorinstalliert und bietet die Möglichkeiten mit sogenannten Grafiktabletts oder Pen-Tablets handschriftliche Notizen zu erstellen. Die Technologie erlaubt damit die gleichen Darstellungsmöglichkeiten wie die Tafel oder der Visualizer.

Nach der Aufnahme erlaubt es Camtasia das Video in dem gewünschten Dateiformat zu speichern.

Nun kann es auf der Lernplattform StudOn oder direkt auf YouTube veröffentlicht werden.

Aufwand

Der Aufwand variiert je nach Anspruch: Grundsätzlich können schnell und unkompliziert Präsentationen erstellt werden, da entweder bereits bestehende Präsentationen abgefilmt werden können oder, wie am Beispiel des Windows-Journals, das Prinzip des Tafelvortrags simuliert werden kann. Will man jedoch in den Darstellungsarten während der Aufnahme wechseln, das Video schneiden oder mit anderen Videos verbinden, dann kann der zeitliche Aufwand schnell ansteigen.
Der monetäre Aufwand fällt einmalig an und zwar für die Software, das Mikrofon, die Webcam und das Grafiktablett.

Art der Evaluation, Erfolgsfaktoren und Resultate

Um den Erfolg der Lehrvideos aus Sicht der Studierenden einschätzen zu können, wurde in einem Präsenztutorium eine schriftliche Evaluation durchgeführt, an der insgesamt 105 Studierende teilgenommen haben.
In der Evaluation wurde das Angebot zunächst auf den subjektiven Lernerfolg hin überprüft. Dabei ist festzuhalten, dass alle Befragten das Angebot der Lehrvideos als sinnvolle Ergänzung zu den Präsenzveranstaltungen empfanden. Obwohl sich nur 7% der Befragten als wenig kompetent im Fach Mathematik eingeschätzt haben, gaben 45% an, dass ihnen die Lehrvideos sehr geholfen haben, fachliche Defizite zu beseitigen. Des Weiteren gaben 97% der Befragten an, mithilfe der Lehrvideos die Lerninhalte besser zu verstehen.
Die Ergebnisse der Evaluation deuten darauf hin, dass durch die Implementierung der Lehrfilme fachliche Defizite bei den Studierenden verringert wurden.
Die Evaluation ist dem PDF (siehe oben) beigefügt.

Unter folgenden externen Links können die Lehrvideos abgerufen werden:
Modul: Analysis und Lineare Algebra
https://www.youtube.com/user/NiklasMathematik
Modul: Finanzmathematik
https://www.youtube.com/user/ChristianMathematik
Hier gibt es eine Power-Point-Präsentation zum Thema:
http://www.slideshare.net/christian_attenberger/quisprojektreffenscreencasting
Hier kann eine Prezi-Präsentation zum Thema abgerufen werden:
http://prezi.com/djumwookq_d1/vorkurs-mathematik/?utm_campaign=share&utm_medium=copy