Nina Kahnwald & Vicki Täubig (Hrsg.): Informelles Lernen. Standortbestimmungen.

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Rezensent:
Dirk Jahn, FBZHL
Originalliteratur:
Kahnwald, Nina (Hrsg.); Täubig, Vicki (Hrsg.). Informelles Lernen. Standortbestimmungen. Wiesbaden (Springer VS) 2018, ISBN 978-3658157920, 217 Seiten, EUR 39,99.
Quelle der Rezension:
Wilbers, Karl (Hrsg.): Handbuch E-Learning. 77. Erg.-Lfg. Oktober 2018 www.personalwirtschaft.de/elearning


Viel recherchiert und ausprobiert, nichts hat wirklich funktioniert. Leider hab ich nichts kapiert: Eigenständiges, informelles Lernen anhand von und in Praxiserfahrungen jenseits von Bildungseinrichtungen wird häufig von Pädagoginnen und Pädagogen kritisch beurteilt. Dennoch, so schätzen Expertinnen und Experten, finden 70 Prozent aller Lernprozesse bei Erwachsenen außerhalb von Bildungsinstitutionen statt und dies mitunter sehr erfolgreich. Digitale Werkzeuge und Wissensplattformen wie YouTube können z. B. eine große Hilfe sein, wenn es darum geht, ein konkretes Praxisproblem selbständig zu beheben und dabei etwas zu lernen. Doch wie laufen sogenannte „informelle Lernprozesse“ überhaupt ab, was treibt sie an und was konstituiert sie? Wie sollten sie gestaltet werden, um „zielführend“ zu sein? Was brauchen informell Lernende dazu?
Die Professorin für Wissens- und Informationsmanagement Nina Kahnwald und Vicki Täubig, Junior-Professorin für Bildungsforschung, haben in ihrem just erschienen Sammelband einige nationale und internationale Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gewinnen können, die sich den Konzepten, Bedingungen und Orten des informellen Lernens aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und anhand unterschiedlicher Fragestellungen sowohl theoretisch als auch empirisch annähern. Die meisten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stammen aus der Bildungsforschung, der Soziologie, der Medienwissenschaften oder der Lehrerausbildung. Die 12 von ihnen beigesteuerten Beiträge auf deutscher und teilweise auch auf englischer Sprache beleuchten unterschiedliche Facetten des informellen Lernens mit dem Ziel, eine breite und reichhaltige Sicht auf das Phänomen zu ermöglichen und Standpunkte zu reflektieren.
In dem Kapitel Foundations nehmen die Autoren und Autorinnen Bezug auf verschiedene Lebensalter und Lernorte des informellen Lernens, etwa bei Sprachspielen von Kindern im alltäglichen Familiengeschehen oder als biographisches Lernen von Schülern, das hochgradig abhängig von prägenden (familiären) Erfahrungen ist. Eine soziologische Gesamtschau auf die gesellschaftliche Relevanz und Praxis des informellen Lernens in Deutschland rundet das Kapitel ab. Im Kapitel Social Inequality stehen Potentiale und (gescheiterte) Hoffnungen im Hinblick auf Verwirklichung von Bildungschancen im Mittelpunkt. Beispielsweise wird die einflussreiche Rolle von Peer-Groups bei Jugendlichen im informellen Lernen untersucht oder die Nutzung von digitalen Medien bei Grundschulkindern analysiert. Es zeigt sich dabei unter anderem, dass vor allem Jugendliche aus bildungsfernen Schichten trotz mannigfaltiger Möglichkeiten nicht so stark wie gewünscht durch informelles Lernen profitieren können. Anschließend steht im Kapitel Between Individualization and Formalization der Zusammenhang vom Wandel der Arbeitswelt und informellen Bildungsaktivitäten im Fokus, inklusive den Auswirkungen auf formale Bildung. Lernen, um den Beruf mit seinen Anforderungen bewältigen zu können, findet immer mehr informell und auch im Privaten statt. Die Grenzen verwischen. Deshalb diskutieren die Autoren bestimmte didaktische Designs, wie die beiden Sphären verträglich miteinander in Einklang gebracht werden können, z. B. durch Lernwerkstätten an Hochschulen oder im handlungsorientierten Unterricht an der Berufsschule. Gesellschaftliche und didaktische Risiken werden dabei nicht außer Acht gelassen. Im abschließenden Kapitel New Media and Community Building liegt der Schwerpunkt auf der Digitalisierung des informellen Lernens. Anhand von unterschiedlichen Beispielen, wie etwa dem Lernen mit verschiedenen Formen von MOOCs, dem Spielen von Online-Games oder dem Partizipieren in Online-Fangemeinschaften wird gezeigt, wie vielschichtig sich informelles Lernen in digitalen Gefilden vollziehen kann und worauf es dabei didaktisch ankommt.
Spannend und bereichernd an dem Sammelband ist seine Vielfalt. Je nach Tradition und Auffassung arbeiten die Autoren und Autorinnen verschiedene Aspekte des informellen Lernens heraus. Sie tun dies jeweils mit eigenen und teilweise sehr unterschiedlichen Forschungsmethoden, Sprachstilen oder Denkhorizonten. Dadurch wird deutlich, wie vielschichtig und unterschiedlich informelles Lernen beschrieben werden kann und wie gesellschaftlich relevant diese Art des Lernens ist und weiter sein wird. Interessierte, die sich einen reichhaltigen Überblick zur Praxis und Theorie des informellen Lernens verschaffen möchten, sind mit dem meist flüssig lesbaren Buch gut bedient (gilt auch für die englischen Beiträge). Praktiker aber, die sich nach konkreten Handlungswissen sehnen, sind an der falschen Stelle.