Gemeinschaftliches Bearbeiten von Prüfungsaufgaben: Eine Methode zur Leistungssteigerung und zum Abbau von Prüfungsangst

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Kurzinfos_ZiLL_2014-25_Kollaboratives Testen
Aus der Reihe: Schriften zur Hochschuldidaktik. Beiträge und Empfehlungen des Fortbildungszentrums Hochschullehre der Friedrich-­Alexander Universität Erlangen-Nürnberg.
Autor: S.-H. Kapitanoff, American Jewish University, Los Angeles, USA

Quelle

Kapitonoff, S. H. (2009). Collaborative testing. Cognitive and interpersonal processes related to enhanced test performance. Active Learning in Higher Education, 10, 56-70.

Problembeschreibung / Zieldefinition

Wenn sich schlechte Prüfungsergebnisse bei Studierenden häufen, sollte dies ein Anlass dafür sein, Maßnahmen zu ergreifen, die zu effektiverer Lehre beitragen. Diese Maßnahmen können darauf abzielen, dass Studierende mehr Wissen abrufen können, ein vertieftes Verständnis des Lernstoffs entwickeln und letztlich auch in die Lage versetzt werden, mit ihren KommilitonInnen reflektiert über den Lernstoff zu diskutieren. Schlechte Leistungen von Studierenden können jedoch nicht nur durch ineffektive Lehre bedingt sein. Auch Prüfungsangst kann wesentlich zu schlechten Prüfungsleistungen beitragen.
Gemeinschaftliches Prüfen (in der englischsprachigen Literatur: „collaborative testing“) kann dazu beitragen, Prüfungsangst zu vermeiden und eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Lernstoff anzuregen.
Die Idee, die dem hier vorgestellten Beispiel zugrunde liegt, ist, dass eine gemeinschaftliche Prüfung selbst als eine Chance für den Wissenserwerb verstanden wird und zusätzlich durch die gemeinsame Bearbeitung der Aufgaben Prüfungsangst weniger zum Tragen kommt.
So ist dies in dem im Folgenden dargestellten Beispiel von Kapitanoff (2009) geschehen. Dort finden sich auch ausführliche Hinweise zur Notengebung im Rahmen gemeinschaftlicher Prüfungen.
Wir möchten jedoch schon an dieser Stelle erwähnen, dass wir das gemeinschaftliche Prüfen nicht als Format für die eigentlichen Modulprüfungen empfehlen möchten, sondern Einsatzmöglichkeiten eher bei informellen Wissensstandsüberprüfungen in der Semestermitte sowie bei der Prüfungsvorbereitung sehen.

Herangehensweise / Lösungsansatz

Die theoretische Grundlage der Methode des gemeinschaftlichen Prüfens ist das kooperative Lernen. Beim kooperativen Lernen arbeiten die Studierenden in Zweierteams oder Kleingruppen zusammen und eignen sich im Austausch Wissen und Kompetenzen an. Kooperatives Lernen hat den Vorteil, dass die Studierenden hier ihre Ideen intensiv austauschen und in der Diskussion ihre eigene Position vertreten müssen. Außerdem machen sich die Studierenden beim kooperativen Lernen mit unterschiedlichen Lernstilen vertraut. Vom kooperativen Lernen wird erwartet, dass es das Wissen steigert, das kritische Denken verbessert, die interaktive Gruppenarbeit fördert, zu einer höheren Ausdauer beim Problemlösen führt und die Entwicklung der Studierenden unterstützt.
Beim gemeinschaftlichen Prüfen wird die Idee des kooperativen Lernens auf echte Prüfungssituationen ausgeweitet. Darüber hinaus könnte die Methode auch zur Prüfungsvorbereitung genutzt werden. Dabei bearbeiten die Studierenden in Paaren Prüfungsaufgaben, in der hier vorgestellten Arbeit beispielsweise multiple-choice-Aufgaben. Die Studierenden diskutierten über die Lösungen der Prüfungsaufgaben und einigten sich auf die jeweiligen Antworten. Der (auch in Abbildung 1 dargestellte) Ablauf einer gemeinschaftlichen Prüfung gestaltete sich in diesem Fallbeispiel folgendermaßen:
Jeder Studierende bekam einen Test mit 50 multiple-choice-Aufgaben und 15 offenen Fragen, die mit kurzen schriftlichen Antworten gelöst werden mussten. Diese Aufgaben wurden zunächst individuell bearbeitet. Im nächsten Schritt wurden die Studierenden zufällig zu Paaren gelost. Diese Studierenden-Paare beantworteten 20 zufällig ausgewählte Aufgaben aus den 50 multiple-choice-Aufgaben. Das gemeinschaftliche Bearbeiten erfolgte direkt nach dem individuellen Bearbeiten der Aufgaben.
Die Lösungen der Studierenden wurden individuell benotet (zugrundeliegende Formel: 60 % der Gesamtnote bezog sich auf die individuell bearbeiteten Aufgaben und 40 % auf die gemeinschaftlich gelösten Aufgaben). Mit der individuellen Benotung war das Ziel verbunden, dass die Studierenden Verantwortung übernehmen und sich ernsthaft auf die Prüfung vorbereiteten.

Abbildung 1: Ablauf des gemeinschaftlichen Prüfens

Aufwand

Der Aufwand bei der Umsetzung der Methode ist davon abhängig, mit welchen Prüfungsformaten bislang gearbeitet wurde. Wurden bereits multiple-choice-Aufgaben verwendet, sollte die Umsetzung der hier vorgestellten Methode weniger aufwändig sein, als bei der Verwendung offener Fragenformate. Grundsätzlich können jedoch auch andere Prüfungsformate beim gemeinschaftlichen Prüfen verwendet werden.

Art der Evaluation, Erfolgsfaktoren und Resultate

Um die Methode zu überprüfen, wurden 31 Studierende gemeinschaftlich geprüft. Die eine Hälfte der Studierenden hatte im aktuellen Semester vier Prüfungen, davon wurde die erste Prüfung als individuelle Prüfung durchgeführt, damit sich die Studierenden an das Prüfungsformat gewöhnen konnten; die zweite Prüfung fand gemeinschaftlich statt. Die andere Hälfte der Studierenden hatte insgesamt drei Prüfungen. Hier wurden die Studierenden zufällig bei der ersten oder zweiten Prüfung gemeinschaftlich getestet. Insgesamt hätten 59 Studierende mitmachen können, allerdings waren einige Studierende abwesend oder bevorzugten andere Prüfungsformate.
Die beteiligten Studierenden äußerten einerseits Bedenken, gaben andererseits aber auch positives Feedback: Als Bedenken führten die Studierenden das Risiko an, einem unvorbereiteten Partner zugeordnet zu werden, der dann auf unfaire Weise profitieren könnte.
Als positiv wurde die Möglichkeit benannt, über die Prüfungsfragen zu diskutieren. Des Weiteren wurde eine Erleichterung des Lernprozesses erlebt, es fiel den Studierenden leichter, sich Informationen zu merken und sie konnten sich besser an Diskussionen im Plenum erinnern. Allgemein wurde der Interaktionsprozess beim gemeinschaftlichen Bearbeiten der Prüfungsaufgaben von den Studierenden gelobt.
Aus diesen Rückmeldungen ergibt sich, dass sich bei einem Einsatz von gemeinschaftlichen Prüfungen außerhalb von Modulprüfungen die Vorteile intensiven Lernens ergeben, ohne dass diese mit den Nachteilen ungerechter Prüfungsergebnisse einhergehen würden, da diese nicht in die abschließende Note eingehen.
Beim Vergleich der Leistung der Studierenden über individuelle und gemeinschaftliche Prüfungsformate hinweg zeigt sich, dass das gemeinschaftliche Prüfen zu einer Steigerung der Leistung führte, nur ein Studierender war beim gemeinschaftlichen Teil der Prüfung schlechter als beim individuellen Teil.
Beim gemeinschaftlichen Prüfen kam es außerdem zu einer bedeutsamen Reduktion der Prüfungsangst. Allerdings zeigte sich im vorliegenden Beispiel kein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Prüfungsangst und der Verbesserung der Prüfungsleistung. Kognitive Prozesse, die einen Effekt auf die Prüfungsleistung hatten, sind das bessere Merken von Informationen, eine bessere Fähigkeit, den Stoff zu durchdenken, sowie gute Diskussionen bei der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit.

Empfehlungen

Die Methode des gemeinschaftlichen Prüfens sollte aus unserer Sicht aus Gründen der Gleichbehandlung und Rechtssicherheit nicht in den eigentlichen Modulprüfungen eingesetzt werden. Sinnvoll eingesetzt werden kann sie jedoch im Zuge der Prüfungsvorbereitung, um die Studierenden zu gemeinschaftlichem Lernen und zu intensiverer Diskussion und Bearbeitung des Lehrstoffs anzuregen und als informelle Lernerfolgskontrolle in der Semestermitte, um einen Eindruck vom Wissensstand der Studierenden zu erhalten.
Denkbar ist auch die kombinierte Anwendung von gemeinschaftlichem Prüfen in Vorlesungen und zugehörigen Übungen. Dabei könnten in der Vorlesung multiple-choice-Aufgaben nach folgendem Prinzip eingesetzt werden: Die Studierenden bearbeiten zunächst individuell die multiple-choice-Aufgabe und diskutieren diese anschließend in der Kleingruppe (sechs bis sieben Studierende). Der weitere Verlauf der Vorlesung wird dann abhängig vom Wissensstand der Studierenden angepasst (siehe Kurzinfo 14.2014 zur Methode der conceptests). Das gemeinschaftliche Prüfen fände als Simulation der Prüfungssituation in der zugehörigen Übung Verwendung, um die Studierenden zu aktivieren und bei der Vorbereitung auf die (individuelle) Modulprüfung zu unterstützen.

Verallgemeinerbarkeit

Die Methode des gemeinschaftlichen Prüfens kann fächerübergreifend angewendet werden. Insbesondere dann, wenn bereits mit multiple-choice-Aufgaben gearbeitet wurde, ist diese Methode mit wenig Aufwand einsetzbar.