Ein 5-tägiger Projektkurs für Erstsemester am Beispiel „Einführung in den Maschinenbau“

Symbolbild zum Artikel. Der Link öffnet das Bild in einer großen Anzeige.

Kurzinfos_ZiLL_2015-30_Projektkurse
Autor: Manfred Hampe, Technische Universität Darmstadt
Aus der Reihe: Schriften zur Hochschuldidaktik. Beiträge und Empfehlungen des Fortbildungszentrums Hochschullehre der Friedrich-­Alexander Universität Erlangen-Nürnberg.

Quelle

Hampe, M. (2002). Einführung in den Maschinenbau. Ein Projektkurs für Erstsemester. Das Hochschulwesen, 50(6), 228-234.

Problembeschreibung / Zieldefinition

Eine aktuelle Herausforderung der deutschen Hochschullehre ist die Überbrückung der Kluft zwischen den Anforderungen, die Arbeitgeber an HochschulabsolventInnen herantragen, und den Kompetenzen, welche die Studierenden an den Hochschulen erwerben. So fordern auf der einen Seite viele Arbeitgeber von den Hochschulen vermehrt die Förderung von sog. soft skills wie Kommunikationsfähigkeit, Problemlösekompetenz und Teamfähigkeit. Auf der anderen Seite spielt die Förderung des Erwerbs derartiger Kompetenzen in der Lehre an vielen Universitäten nach wie vor eine untergeordnete Rolle.
Neben der Überbrückung der genannten Kluft zwischen beruflichen Anforderungen und Kompetenzerwerb im Studium ist häufig eine geringe Studierendenmotivation zu beobachten, die nicht zuletzt dadurch bedingt sein dürfte, dass in vielen Studiengängen zu Beginn des Studiums verstärkt Grundlagenwissen im Vordergrund steht, das von den Studierenden als wenig anwendungsrelevant erlebt wird. Dies hat zur Folge, dass ein Großteil der Studierenden ihr Studium nicht bis in die Phase fortführt, in der die als interessanter erlebten Anwendungsbereiche in den Blick kommen.
Die beiden dargestellten Probleme sind in ingenieurwissenschaftlichen Fächern stark ausgeprägt. Um die Kommunikationsfähigkeit und Teamfähigkeit der Studierenden zu fördern und ihre Motivation im Rahmen von Veranstaltungen zu erhöhen, wurde die didaktische Methode von Projektkursen für Erstsemester-Studierende des Fachs Maschinenbau an der Technischen Universität Darmstadt entwickelt. Diese Methode wird im Folgenden dargestellt.

Herangehensweise / Lösungsansatz

Bei der didaktischen Methode des Projektkurses arbeiten die Studierenden in Gruppen an einer konkreten Aufgabe, die mehrere Teilbereiche des Faches beinhaltet. Die Studierenden sollen so frühzeitig mit der Arbeitsform der industriellen Teamarbeit vertraut werden und die Methodik des Faches kennenlernen.
Im hier vorgestellten Beispiel ist die konkrete Aufgabe die Planung einer Meerwasserentsalzungsanlage zur Gewinnung von Trinkwasser, wobei verschiedene Bedingungen bei der Planung berücksichtig werden müssen. Die Aufgabe lautet folgendermaßen:
„Entwickeln Sie ein Konzept zur Versorgung von Siedlungen mit 10 bis 1000 Personen mit Trinkwasser aus Meerwasser unter ausschließlicher Verwendung erneuerbarer Energie. Das Trinkwasser muss den Qualitätsanforderungen der Weltgesundheitsorganisation genügen. Beziehen Sie die zur Lagerung und Verteilung des Trinkwassers notwendigen Apparate und Maschinen ein.“
Die Projektkurse an der TU Darmstadt erstrecken sich über fünf Tage (siehe Abbildung 1): Vor dem eigentlichen Projektkurs erhalten die Studierenden ein Skript zur Information über den Inhalt und Ablauf des Projektkurses. Während des Kurses werden die Studierenden von einem Help-Desk unterstützt, einer betreuten Sammlung der für die Aufgabe relevanten Informationen.
Am Montag, dem ersten Tag, findet morgens eine Einführungsvorlesung statt, anschließend werden die Studierenden auf die einzelnen Gruppen verteilt. Die Gruppenarbeit ist in zwei Phasen unterteilt. In Phase 1 sammeln die Studierenden zunächst gemeinsam Informationen, die sie zum Lösen der Aufgabe benötigen. Das Sammeln von Informationen kann über die Literaturrecherche hinausgehen und auch praktische Berechnungen oder kleine Experimente beinhalten. Für Phase 2 unterteilen die Studierenden den Arbeitsauftrag in verschiedene Arbeitspakete, die dann von den Gruppenmitgliedern individuell bearbeitet werden. Der Ablauf dieser Phase ist im Folgenden ausführlich dargestellt.
Am Dienstag erfolgt die Aufteilung der Arbeitspakete auf die einzelnen Teammitglieder. Analog zu einem industriellen Team werden keine Aufgaben doppelt vergeben, so dass jede/r Studierende/r für einen eigenen notwendigen Beitrag zur Bearbeitung der Aufgabe verantwortlich ist. Ein/e Studierende/r übernimmt die Aufgabe des/r Projektleiters/-in, der/die für die Koordination der Arbeitspakete verantwortlich ist.
Am Mittwoch findet eine ProfessorInnenbefragung statt, bei der die Studierenden Fragen zur Aufgabe stellen können. Den Rest des Tages, sowie den Donnerstag verbringen die Studierenden damit, die Arbeitspakte zu bearbeiten. Bei inhaltlichen Fragen sowie bei Fragen zur Teamarbeit werden die Studierenden von 08:00 bis 18:00 Uhr von TutorInnen und Coaches unterstützt. Die TutorInnen sind wissenschaftliche Mitarbeitende, die die Studierenden fachlich unterstützen. Sie helfen beispielsweise weiter, wenn Studierende bei der Recherche von Informationen in eine Sackgasse geraten sind und nicht weiterkommen. Die Coaches sind fortgeschrittene Studierende der Pädagogik und Psychologie, die die Studierenden bei Fragen zur Arbeit bzw. zum Umgang im Team unterstützen, beispielsweise zum effektiven Geben und Nehmen von Feedback. Die TutorInnen und Coaches stehen als AnsprechpartnerInnen zur Verfügung und können bei Bedarf befragt werden. Die LeiterInnen, TutorInnen und Coaches treffen sich jeden Tag von 18:00 bis 20:00 Uhr zum kollegialen Austausch und zur Vorbereitung des nächsten Tages, so dass sie die Unterstützung der Studierenden im Verlauf des Projektkurses optimieren können.
Am Freitag schließlich werden die Ergebnisse der Gruppen zusammengetragen, bewertet und in einer jeweils 10-minütigen Präsentation vorgestellt.

Abbildung 1: Struktur der Projektkurse

Aufwand

Ein Projektkurs bedeutet einen hohen zeitlichen Aufwand für die Studierenden, die während der fünf Tage zudem keine anderen Veranstaltungen besuchen können. Aus diesem Grund muss der Nutzen des Projektkurses gegen den Nutzen traditioneller Lehrformen abgewogen werden.
Ein personeller Mehraufwand kann dadurch entstehen, dass die Studierenden des Projektkurses von fortgeschrittenen Studierenden aus der Psychologie und Pädagogik als Coaches betreut werden, die für den Projektkurs von Seiten einer hochschuldidaktischen Arbeitsstelle geschult werden müssen. Auch die als TutorInnen agierenden wissenschaftlichen Mitarbeitenden müssen vor der Durchführung des Projektkurses gemeinsam mit den Coaches geschult werden.
Die Einrichtung eines Help-Desks bedarf einer ausführlichen Vorbereitung, da die Fragen der Studierenden schon vorher antizipiert und die zur Bearbeitung der Aufgabe nötigen Informationen bereitgestellt werden müssen.

Art der Evaluation, Erfolgsfaktoren und Resultate

Eine qualitative Befragung Studierender zum ersten Projektkurs ergab positive Auswirkungen ihrer Teilnahme auf den Lernzuwachs; sie begriffen die theoretischen Aspekte des Faches besser und ihre Motivation für das weitere Studium wurde geweckt. Es zeigte sich, dass viele Studierende durch die Arbeit an einem praxisnahen Projekt auch ihre Kommunikationsfähigkeit und Teamfähigkeit verbessern konnten.
Sowohl für den ersten als auch den zweiten durchgeführten Projektkurs (74 bzw. 130 teilnehmende Studierende) wurde der weitere Studienverlauf von teilnehmenden und nicht-teilnehmenden Studierenden im Vergleich untersucht. Es zeigte sich, dass die an den Projektkursen teilnehmenden Studierenden weniger häufig exmatrikuliert wurden, öfter das Vordiplom bestanden hatten, und, falls sie das Vordiplom noch nicht komplett bestanden hatten, einen höheren Erfüllungsgrad zeigten als Studierende, die an den Projektkursen nicht teilgenommen hatten.

Empfehlungen

Die Durchführung von Projektkursen eignet sich besonders in Studiengängen, die mit einer hohen Fluktuation von Studienanfängern zu kämpfen haben: Durch die Projektkurse erhalten die neuen Studierenden einerseits einen Einblick in die authentische Arbeitsweise ihres Faches und andererseits werden sie motiviert, das nötige Grundlagenwissen für das Lösen praxisnaher Aufgaben zu erwerben. Außerdem lernen die Studienanfänger frühzeitig das Arbeiten in Teams und das Präsentieren von Ergebnissen. Es empfiehlt sich deshalb, Projektkurse am Anfang eines Studiums durchzuführen, wobei darauf geachtet werden sollte, dass die Aufgaben praxisnah konzipiert sind und die Studierenden die nötigen Hintergrundinformationen und professionelle Beratung zum Lösen der Aufgabe erhalten.