Eva-Marie Großkurth, Jürgen Handke (Hrsg.): Inverted Classroom and Beyond. Lehren und Lernen im 21. Jahrhundert.

Rezensentin:
Alessandra Kenner, FBZHL
Originalliteratur:
Großkurth, Eva-Marie; Handke, Jürgen (Hrsg.): Inverted Classroom and Beyond. Lehren und Lernen im 21. Jahrhundert. 4. ICM-Fachtagung an der Philipps-Universität  Marburg. Tectum 2016, ISBN 3828836941, 221 Seiten, EUR 29,95.
Quelle der Rezension:
Wilbers, Karl (Hrsg.): Handbuch E-Learning. 67. Erg.-Lfg. Februar 2017 www.personalwirtschaft.de/elearning


Inverted Classroom – Flipped Classroom – Flipped Mastery. Kaum ein Unterrichtsmodell hat in letzter Zeit an Hochschulen derart viel Beachtung und Diskussion erfahren, wie die „umgedrehte Vorlesung“. Von Kiel bis St. Pölten wurden allein in den letzten zwei Jahren um die zehn Tage der Lehre an Hochschulen im deutschsprachigen Raum mit ebendiesem Schwerpunkt abgehalten.
Hinter den unterschiedlichen Begrifflichkeiten des Inverted Classroom Model (ICM) verbirgt sich ein Blended Learning Konzept, das die Auffassung von Lehr-Lern-Aktivitäten im traditionellen Präsenz- bzw. Selbststudium tauscht: Werden in der klassischen Vorlesung Inhalte von Dozierenden vermittelt, eignen sich Studierende im ICM Fachwissen selbständig, zeitlich flexibel und an einem Lernort ihrer Wahl an, indem sie Screencasts, Texte oder E-Learning-Module bearbeiten. In der Präsenzphase nutzen die Lernenden im ICM den Austausch untereinander und die Hilfe des Dozenten, um das Wissen zu vertiefen. Diese Unterstützung fällt im traditionellen Selbststudium weg, weshalb die Verfechter des Inverted Classroom einen klaren didaktischen Mehrwert in diesem Unterrichtsmodell sehen.
Ein Experte der umgedrehten Vorlesung ist Jürgen Handke, Professor für Anglistik und Amerikanistik an der Philipps-Universität Marburg, Ars legendi-Preisträger für digitales Lehren und Lernen und Organisator der „Inverted Classroom Konferenz“. Mit seiner ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiterin Eva-Marie Großkurth, die das Projekt „Virtuelles Zentrum für Lehrerbildung“ koordinierte, hat er das Buch „Inverted Classroom and Beyond. Lehren und Lernen im 21. Jahrhundert“ herausgegeben. Der Band sammelt Beiträge von Lehrenden, die Einblicke in die Implementierung, Evaluation und Weiterentwicklung ihrer Inverted Classroom Projekte in verschiedenen Fächern geben.
Das Buch gliedert sich dabei wie folgt: Teil I umfasst zwei Beiträge zum Thema Strategien und Wirksamkeit des ICM: Ein Aufsatz zeigt die hochschulweite Strategie zur Verbesserung der Qualität der Lehre an der Fachhochschule St. Pölten auf, die erfolgreich das Thema Flipped Classroom in der Hochschulstrategie verankert hat und Einblicke in ihr Erfolgskonzept gibt. Zum anderen findet sich im ersten Teil ein Beitrag vom Herausgeber Handke selbst zum Thema Wirksamkeit, wo er seine eigene umgedrehte Vorlesung anhand von Teilklausurergebnissen evaluiert und so die Nützlichkeit des ICM aufzeigt. Teil II widmet sich in vier Aufsätzen dem Einsatz von ICM und Evaluationen. Unter anderem beleuchten hier Kathrin Jäger und Kevin Atkins die Rolle von Motivation, Lernstandsüberprüfung und Feedback im Flipped Classroom und geben wertvolle Ideen zum Einsatz von Audience Response Systemen. Weiter finden sich Beispiele für die Implementierung von Inverted Classroom Konzepten in den Ingenieurs- und Politikwissenschaften sowie der Statistik. Der dritte Teil umfasst vier Aufsätze zum Thema Lehr- und Lernvideos. Neben allgemeinen Qualitätskriterien für Lernvideos, die Alexander Sperl darlegt, stellt Katharina Weber bspw. ein Experiment zur Effektivität von Lehrvideos als Informationsquelle vor. Der letzte Teil thematisiert Schulkontexte und Best-Practice Beispiele des ICM, wo u.a. Dirk Weidmann seinen umgedrehten inklusiven Lateinunterricht vorstellt und herausarbeitet, dass der pädagogischen Herausforderung Inklusion durch Blended Learning Formate begegnet werden kann.
Schon in den oben exemplarisch herausgegriffenen Beiträgen zeigt sich die thematische Breite des Sammelbandes, der spannende, aber auch kaum (selbst)kritische Einblicke in praktische Umsetzungsmöglichkeiten des Flipped Classrooms an (Hoch)Schulen bietet. Insbesondere Hochschullehrende werden durch die Praxisbeispiele umgedrehter Veranstaltungen an Hochschulen Inspirationen für den eigenen Einsatz von ICM finden. Erfreulich wäre es allerdings, wenn nicht nur explizit adressierte Zielgruppen, wie Mitarbeitende im Bereich Personalentwicklung, Interesse am Thema finden. In der betrieblichen Weiterbildung hat das ICM bisher deutlich weniger Aufmerksamkeit erregt als an Universitäten – könnte aber spannendes Potential erhalten, Fortbildung neu zu denken.